Januar 22, 2024

FAQ: Einführung einer Versicherungspflicht für Elementarschäden

Vielen Dank an meine Kollegen Lukas Benner und Stefan Schmidt für die Erarbeitung des FAQs!

Wie ist die aktuelle Situation?

Die Hochwasserlage rund um den Jahreswechsel betraf weite Teile Deutschlands. Die finanziellen Schäden werden erst nach und nach bezifferbar. Wie zuletzt bei der Ostsee-Sturmflut im Herbst 2023 und besonders eindrücklich nach der Flut im Ahrtal im Sommer 2021 stellt sich dann die Frage, wie Betroffene schnell und effizient finanziell unterstützt werden können.

Bisher geschieht dies in Form staatlicher Ad-hoc-Hilfen, teilweise in Milliardenhöhe. Solche Hilfen sind derzeit vor allem in so großem Umfang nötig, weil bundesweit lediglich rund 50% der Haushalte gegen Schäden durch Extremwetterereignisse wie Starkregen, Hochwasser, Erdrutsche oder Erdbeben – also gegen Elementarschäden – versichert sind. Regional variiert die Verbreitung der Versicherung sehr stark.

Fakt ist: Extremwetterereignisse werden aufgrund der Klimakrise zunehmen. Während einige Extremwetterereignisse regional verstärkt auftreten, z.B. Hochwasser in Gewässernähe, treten andere ortsunabhängig und unberechenbar auf, z.B. Überschwemmungen durch Starkregen.

Immer wieder aufs Neue Ad-hoc-Hilfen bereitzustellen, ist auf Dauer für die Betroffenen und gesamtwirtschaftlich betrachtet kein sinnvolles Vorgehen. Ein häufig diskutiertes Alternativkonzept ist daher die Einführung einer Versicherungspflicht für Elementarschäden.

Was spricht für eine Versicherungspflicht?

Eine Versicherung liefert Gebäudeeigentümer*innen im Schadensfall Sicherheit und Vorhersehbarkeit: Betroffene müssen nicht mehr auf Staatshilfen hoffen, sondern haben einen rechtlichen Anspruch gegen ihre Versicherung auf Leistungen.

Für eine Versicherungspflicht per Gesetz spricht außerdem, dass nur dadurch eine Deckungsquote von 100% erreicht werden kann. Eine flächendeckende Abdeckung über alle Gefährdungsklassen hinweg, auch und gerade in Risikogebieten, ist letztlich nur durch eine Versicherungspflicht zu erreichen.

Durch eine Versicherungspflicht lässt sich außerdem das sog. Charity-Hazard-Problem auflösen: Vertrauen die Menschen auf das finanzielle Einspringen des Staates im Katastrophenfall, so sinkt nachweislich ihre eigene Bereitschaft zum Abschluss einer kostenpflichtigen Versicherung.

Das erhöht im Schadensfall dann wiederum den Bedarf an Staatshilfen. Hierdurch wird demnach ein Fehlanreiz zum Unterlassen der privaten Vorsorge gesetzt (sog. Samariterdilemma).

Eine Versicherungspflicht führt schließlich auch dazu, dass akute Notfallprogramme nicht mehr aus Haushaltsmitteln finanziert werden müssten. Es gibt somit auch fiskalische Argumente, die für eine solche Regelung sprechen.

Was ist bei der Ausgestaltung der Versicherungspflicht aus grüner Sicht wichtig?

Für uns ist die Versicherungspflicht gegen Elementarschäden ein zentraler Baustein für ein gerechtes Risikomanagement bei Extremwetterereignissen. Wir setzen uns für einen flächendeckenden, umfassenden Versicherungsschutz gegen eine möglichst breite Palette von Risiken ein. Die Prämienhöhe sollte anhand des individuellen Schadensrisikos gestaffelt werden. Der Vorteil von risikobasiert berechneten Prämien ist, dass sie Anreize für private Präventionsmaßnahmen setzen. So werden bauliche Schutzvorkehrungen belohnt, und das Bauen in Risikogebieten wird insgesamt weniger attraktiv.

Eine solche Versicherungspflicht muss aber gleichzeitig sozialverträglich sein: Einzelne Eigentümer*innen von Bestandsgebäuden in Risikogebieten dürfen durch hohe Prämien nicht unangemessen belastet werden. Damit die Prämien auch in solchen Gebieten bezahlbar bleiben, kann mit höheren Selbstbehalten oder Ausgleichsregelungen für Härtefälle gearbeitet werden. Auch Mieter*innen sind vor einer Umlage der Prämienkosten zu schützen. Schließlich dient die Versicherung primär dem Vermögenserhalt der Gebäudeeigentümer*innen.

Klar ist: Wenn wir über die Versicherungspflicht nachdenken, sollten wir diese immer zusammendenken mit Maßnahmen zur Klimaanpassung und auch mit Verbesserungen bei der Katastrophenhilfe, dem Risikomanagement und der Baupolitik. Notwendig ist daher auch eine bundesweite Aufklärungs- und Informationskampagne zur Risikosensibilisierung und Steigerung der Akzeptanz der Versicherungspflicht in der Bevölkerung.

Weitere Infos zur GRÜNEN Position findet ihr hier.

Welche Modelle werden diskutiert?

Grundsätzlich ist nach zwei Ansätzen zu unterscheiden: Modelle, die die Einführung einer Versicherungspflicht für Elementarschäden fordern und solche, die eine veränderte Vertragsabschlusspraxis der Versicherungswirtschaft vorschlagen.

Der vzbv befürwortet grundsätzlich die Einführung einer gesetzlichen Versicherungspflicht, sollte auf anderem Wege keine ausreichend hohe Deckungsquote erreicht werden können. Er plädiert dabei für eine „Allgefahrenversicherung“, die sämtliche Naturgefahren einschließt, auch solche, die bisher nicht abgedeckt sind, wie beispielsweise Sturmfluten. Die Versicherungsprämie soll risikobasiert kalkuliert und die Versicherung soll durch die private Versicherungswirtschaft angeboten werden. Für Großschadensereignisse ist ein Einspringen des Staates als Rückversicherer vorgesehen, um eine Überlastung der Versicherungsmärkte zu vermeiden.

In einem Bericht des BMJ von Dezember 2022 spricht sich dieses ebenfalls für risikobasierte Prämien aus. Weiterhin hält das BMJ eine Kombination aus verpflichtender Basisversicherung mit festgelegtem Mindestumfang und freiwilliger Zusatzabsicherung für sinnvoll. Auch eine Befreiungsmöglichkeit von dieser Pflichtversicherung wird angedacht. Das mag paradox klingen, aber im Gegensatz zu anderen Pflichtversicherungen, wie beispielsweise der Kfz-Haftpflicht, dient die Elementarschadenversicherung dem eigenen Schutz, nicht dem Schutz Dritter. Daher soll eine Befreiung möglich sein.

Der BMJ-Bericht erkennt grundsätzlich an, dass eine Versicherungspflicht in vielerlei Hinsicht sinnvoll wäre. Auch die Verfassungsmäßigkeit wird nicht in Frage gestellt. Dennoch lehnt der Bericht die Einführung einer Versicherungspflicht ab und argumentiert mit finanziellen Härten für Gebäudeeigentümer*innen in einer Zeit, in der Preise für Wohnen krisenbedingt ohnehin schon gestiegen sind. Stattdessen wolle man die Nachfrageseite stärker zum Abschluss von Elementarschadenversicherungen motivieren und Ansätze prüfen, die möglichst ohne Versicherungspflicht auskommen.

Der GDV sowie die CDU/CSU-Fraktion streben Folgendes an: Die gesetzlichen Regelungen des Versicherungsvertragsrechts sollen so angepasst werden, dass eine Elementarschadenabsicherung zukünftig immer zwingend mit einer Wohngebäudeversicherung angeboten werden muss. Bei bestehenden Verträgen soll ab einem gewissen Stichtag automatisch eine Erweiterung auf eine Elementarschadenversicherung erfolgen. Sowohl bei Neuverträgen als auch im Bestand ist es möglich, sich gegen den Elementarschutz zu entscheiden (sog. Opt-Out) – mit der Konsequenz, im Schadensfall nicht, also auch nicht durch Staatshilfen, entschädigt zu werden. Eine solche Entscheidungsfreiheit sei Gebäudeeigentümerinnen im Sinne der Privatautonomie zuzugestehen. Auch dieses Konzept bindet den Staat als Rückversicherer ein.

Wie ist das politische Stimmungsbild?

Eine solche Versicherungspflicht wird von der MPK explizit gefordert und von vielen Ministerpräsident*innen (u.a. BW, NRW, NS) vehement beworben. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurde Mitte letzten Jahres zu diesem Thema ins Leben gerufen und auch im Plenum des Bundestages wurde noch Ende November 2023 darüber diskutiert. Viele Akteure, von Verbraucherschutz bis hin zur Versicherungswirtschaft, sind sich einig, dass der Status quo unhaltbar ist und es hier Fortschritte braucht. In mehreren anderen EU-Staaten gibt es bereits eine obligatorische Elementarschadenversicherung, in unterschiedlicher Ausgestaltung. Bisher blockiert der Bundesjustizminister einen möglichen Gesetzgebungsprozess. Er spricht sich gegen eine Pflichtversicherung aus und argumentiert mit finanziellen Mehrbelastungen für Eigentümer*innen.